Gesa Ziemer berichtet aus dem City Science Lab in Hamburg.
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 12. April 2022 veröffentlicht.
Der Begriff Metaverse ist aktuell eines der stärksten Reizwörter im Technologie-Diskurs. Die einen sehen darin ein neues technologisches Heilsversprechen einer dezentralisierten, kreativen, virtuellen Welt, die aufgrund von Blockchain gerechtes Eigentum verspricht und die zu einer fairen Gesellschaft führt. Die anderen hören nur ein Buzzword, das erfolgreiches Business vor allem für große Datenunternehmen verspricht. Der Begriff setzt sich aus „Meta“ und „Universe“ zusammen und wurde von Neal Stephenson geprägt, der in seinem Roman Snow Crash (bereits 1992) seinen Protagonisten Hiro in eine virtuelle Welt eintauchen lässt, die für ihn immer realer wird. Spätestens seit Facebook sich in Meta umbenannt hat, wird der Begriff diziplinenübergreifend kontrovers diskutiert – auch in der Stadtentwicklung.
Realitäten im Vergleich
Wer heute Städte plant oder diese beforscht, tut dies nicht mehr nur im realen Raum, also in der materiell gebauten Stadt, in der sich echte Menschen bewegen, sondern vermehrt auch in
künstlich erzeugten Realitäten. Im Zuge der Erstellung digitaler urbaner Zwillinge, die viele Städte heute vornehmen, nimmt die Debatte über den Nutzen
virtueller Stadtentwicklung Fahrt auf. Andere Realitäten, im Fachjargon auch Mixed Realities genannt, gibt es verschiedene: Es gibt virtuelle Realitäten
(VR), also softwaregenerierte Simulationen fiktiver Umwelten, in die man mit VR-Brillen eintauchen kann. Oder augmentierte Realitäten (AR), also computergestützte Erweiterungen
wahrnehmbarer Realitäten, die oft mit Zusatzinformationen durch Bilder, Töne, Texte oder virtuelle Objekte arbeiten. Mixed Reality (MR) ist als kombiniertes Verfahren zu
verstehen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses durch Weiterentwicklungen bei der Displaytechnologie, Grafik- und Rechnerleistungen, 3-D-Simulationssoftware und Echtzeitfähigkeiten
virtueller Simulationen in immer mehr Lebensbereichen durchsetzen wird und dass sich solche künstlichen Welten bald immer weniger von realen unterscheiden lassen.
Diese Technologien erzeugen die Möglichkeit, umfassende Wahrnehmungen der Stadt zu erleben: Perspektiven verändern sich,
Oberflächen und Farben werden detaillierter wahrgenommen, Licht wird sichtbar, Distanzen wechseln, Geschwindigkeiten und akustische Elemente werden unmittelbar erlebbar, Innenräume können
betreten werden. In noch nie dagewesener Detailtreue und mit hohem Variantenreichtum an Perspektiven können Städte heute dargestellt werden. Es ist eine grundsätzliche Frage,
wann und wo wir in der Stadtentwicklung mit solchen Technologien arbeiten wollen. Sinn macht es beispielsweise bei Themen wie Schattenwurf oder die
Fassadengestaltung von Gebäuden oder Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Ebenso dann, wenn wir Empathie
schaffen wollen, wenn also Akteur:innen sich in andere Personen oder Kontexte hineinversetzen müssen.
Der Unterschied zwischen VR und AR ist, dass in AR ein Teil der Realität „echt“ bleibt, da es sich nur um eine Erweiterung der Realität handelt. Natürlich ist auch diese sogenannte
„echte“ Realität bereits medial vermittelt beispielsweise auf Karten, dies aber graduell schwächer als in dreidimensionalen Darstellungen. Aus meiner Sicht eignen sich
AR-Verfahren deshalb besser für die Stadtplanung, weil wir Daten wie beispielsweise Geodaten über reale Flächen verarbeiten und deshalb einen
Bezug zur materiellen Welt herstellen können. Wir können beispielsweise alte und neue Karten übereinanderlegen oder reale Plätze oder Gebäude einer Stadt abbilden und fiktive
Objekte mit ihnen verbinden wie Gebäude um Stockwerke erhöhen.
Die rein virtuelle Stadtentwicklung ist dementgegen vollkommen fiktiv und weist wenig Bezug zur Realität auf, weshalb die Gefahr der Manipulation
groß ist und wenig Vertrauen weckt. Diskutiert werden diese Technologien aktuell auch unter dem Begriff der Immersion (lat. immersio = eintauchen). Das heißt,
wir können in die Metawelt so weit eintauchen, dass sie uns als real erscheint, was auch damit zu tun hat, dass wir immer besser Bewegungen simulieren können, wobei wir im Netz von (fiktiven)
Persönlichkeiten durch Agenten oder Avatare repräsentiert werden.
In sogenannten dezentralisierten autonomen Organisationen (City DAOs) können zudem Regeln aufgestellt werden, nach denen Prozessketten beispielsweise im Handel oder Verkehr
automatisiert werden, die nicht mehr von einer zentralen Regierung, sondern von den Bürger:innen selbst gesteuert werden.
Das City Science Lab macht es vor
Neben neuen Business Modellen, die auf Blockchain und Kryptowährungen basieren und durch die beispielsweise Flächen ohne Zwischenhandel (wie Makler) erworben werden können, gibt es aktuell zwei Anwendungsfälle, die wir in der Forschung als produktiv für die Stadtentwicklung definieren: Ko-Kreation und Szenarienbildung. Sogenannte Serious Gaming Elemente integrieren spielerische Ansätze, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch der Information, Bildung oder dem Training von Spielenden.
Im City Science Lab an der Hafencity Universität führen wir aktuell in Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften das Projekt PaKOMM (Partizipation
kollaborativ und multimedial) durch. Gegenstand ist die ko-kreative Planung eines innerstädtischen Parkareals, an dem sich unterschiedliche Anwohner:innen-Initiativen beteiligen.
Mit einer VR-Brille, auf einem Touch Tisch und auf einer App kann eine ko-kreative Planung vor Ort und mobil vorgenommen werden. Auf einem Gelände, das auf realen Geodaten basiert, können die
Teilnehmenden gemeinsam (fiktive) Bäume pflanzen oder Objekte wie Bänke oder Spielplatzgeräte aufstellen. Das technische Set-up ermöglicht gemeinsame Gestaltung und
Szenarienbildung. Was wäre, wenn wir dort mehr oder weniger Bäume pflanzen? Wie würde sich der CO2-Gehalt reduzieren?
Gerade im Kontext digitaler urbaner Zwillinge erscheint die Analyse von komplexen Systemen und dessen virtuelle Räumlichkeit als prädestiniert für virtuelle Anwendungen der
integrierten Stadtentwicklung. Die Technologien des Metaverse sind an sich nicht neu, erfahren allerdings aktuell einen Schub, da wir gerade erst beginnen, uns eine Stadt
als ganzheitliche virtuelle Welt vorzustellen, die bereits bestehende Technologien miteinander verbinden wird. Ich schlage vor, dieser Entwicklung kritisch und interessiert zugleich zu
begegnen. Kritisch, weil der immersive Charakter dieser Technologien ein hohes Maß an Manipulierbarkeit innehat. Interessiert, weil uns diese Technologien ein anderes
Eintauchen in die Stadt ermöglichen, als wenn wir nur auf Karten oder Diagramme schauen.